Persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten eines Gesetzes zur Aufhebung eines Transsexuellengesetzes

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Mit dem Gesetz zur Änderung der in das Geburtsregister einzutragenden Angaben und der Verbesserung der Situation intergeschlechtlicher Menschen konnte die SPD-Bundestagsfraktion Ende 2018 erste Verbesserungen für intergeschlechtliche Menschen erreichen.

Im März 2021 haben wir das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklungverabschiedet und mit dem dort geregelten „OP-Verbot“ das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit gestärkt.

An diese beiden wichtigen Gesetze hätte ich gern mit einer Reform des Transsexuellengesetzes (TSG) angeknüpft. Das Gesetz sollte aus meiner Sicht in seiner bestehenden Form schlicht abgeschafft werden. Die SPD setzt sich bereits seit vielen Jahren dafür ein, hier völlig neue Regelungen zu finden.

Eine Reform macht aus meiner Sicht allerdings nur Sinn, wenn dabei das Prinzip der Anerkennung der Geschlechtsidentität und der Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung die Grundlagen sind. Eine Reform, die das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, war mit unserem Koalitionspartner in dieser Legislaturperiode leider nicht zu machen. Trotz intensiver Bemühungen und unzähligen Verhandlungsrunden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat zusammen mit der Bundesjustizministerin und der Bundesfamilienministerin immer wieder Anläufe gestartet, um eine Reform zu erreichen, die diesen Namen auch verdient. Allerdings konnte weder mit CDU noch mit CSU ein auch nur annähernd tragbarer Kompromiss gefunden werden. In dieser Legislaturperiode konnten mehrere Entwürfe aufgrund des Widerstands unseres Koalitionspartners noch nicht einmal als Vorlage ins Kabinett gebracht werden. Daher haben wir uns im April dieses Jahres entschieden die Verhandlungen der Reform zum TSG zu beenden. Mein und unser Ziel ist eine Reform im Sinne der Betroffenen, nicht eine Reform um jeden Preis.

Im Mittelpunkt unserer Kritik stand unter anderem die Ausgestaltung der Beratung der Betroffenen als Ersatz für die bislang vorgesehenen psychologischen Gutachten. Während wir eine analog zur Schwangerschaftskonfliktberatung ergebnisoffene Konsultation für sinnvoll erachten, wollte die Union als Minimum eine Beratung, die durch die Einschaltung von Psychologen und Medizinern immer noch einen pathologisierenden Charakter hat. Diese Beratungsart lehnen wir klar ab. Transsexualität ist keine Krankheit! Daher bedarf es aus unserer Sicht für die personenstandsrechtliche Änderung keines medizinpsychologisch geschulten Personals. Sonst würde die bisherige Diskriminierung fortgesetzt und die Unterstellung einer Krankheit würde zementiert, statt abgeschafft.

 Die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen enthalten wichtige Forderungen, die zum großen Teil auch in unseren Entwürfen stehen. Die Ministerien für Recht und Verbraucherschutz sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben ja die entsprechenden konkreten gesetzliche Regelungen entworfen, die aber allesamt von der Union nicht mitgetragen werden.

Da wir mit CDU und CSU eine Koalition bilden, sind wir an die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag gebunden. Hier ist festgelegt, dass wir als Regierungskoalition einheitlich abstimmen. In manchen Fällen ist das auch für uns hilfreich, weil damit einige rückwärtsgewandte Initiativen abgewendet werden können. Im vorliegenden Fall ist es besonders schmerzlich, aber eine Zustimmung ist mir heute nicht möglich.

Unser Gesetzentwurf und die beiden Entwürfe der Opposition sind eine gute Grundlage um dieses Thema – mit neuen Mehrheiten jenseits von CDU und CSU in der Regierung –  in der nächsten Legislaturperiode erneut und im Sinne der Betroffenen anzugehen und zu einigen.

 

 

 

Stefan Zierke

Ergänzende Anmerkungen

In der Fraktionssitzung am 18. Mai kam der Wunsch auf einige inhaltliche Gründe zu nennen, aus denen wir die GE der Oppositionsfraktionen ablehnen. Im Auftrag der zuständigen BerichterstatterInnen und der Innenpolitischen Sprecherin Ute Vogt möchten wir hier einige Textbausteine zur Verfügung stellen, die ihr bei Bedarf gern in die persönliche Erklärung einpflegen könnt:

Beide Entwürfe der Oppositionsfraktionen bilden wie ausgeführt eine gute Diskussionsgrundlage. Eine Zustimmung kommt bei beiden Entwürfen aber nicht nur wegen der Koalitionsvereinbarung sondern auch aus inhaltlichen bzw. systematischen Gründen nicht in Betracht. Aus meiner Sicht wären teilweise die Punkte im Detail anders zu regeln bzw. wurden sie teilweise auch schon in anderen Gesetzen geregelt. Um zwei Beispiele zu nennen:

  • In beiden Entwürfen finden sich Regelungen in Bezug auf Personenstand, Namensrecht, Abstammung und Gesundheit sowie das Verbot fremdbestimmter genialtalangleichender Operationen mit Ausnahmen für Kinder und Jugendlichen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr.
  • Gerade im März dieses Jahres haben wir bereits das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verabschiedet, und zwar in wesentlich konkreterer und umfassender Form als es hier in den vorgeschlagenen Gesetzen der Fall ist. Künftig ist es Ärztinnen und Ärzten verboten, Operationen an nicht-einwilligungsfähigen Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung durchzuführen – es sei denn, es besteht eine akute Gefahr für Leib und Leben, oder eine Operation dient eindeutig allein dem Wohl des Kindes. Ob ein Eingriff notwendig ist oder nicht entscheidet eine interdisziplinäre Kommission, nach deren Gutachten das Familiengericht einem Eingriff stattgeben kann.
  • Beide Gesetzentwürfe enthalten Ordnungswidrigkeitentatbestände; danach soll es eine Ordnungswidrigkeit darstellen, wenn jemand den zuvor geführten Vornamen oder den früheren Nachnamen verwendet oder sich auf die vorherige Geschlechtszuordnung bezogen wird. Das Ziel breiterer Akzeptanz und Rücksicht in der Gesellschaft ist nachvollziehbar; ich glaube aber, dass ein mit Bußgeld bewehrter Tatbestand hier kontraproduktiv wirken würde, zumal diese Ordnungswidrigkeit unmittelbar mit Antragstellung beim Standesamt begangen würde. Das kann zur Folge haben, dass auch unabsichtliche und in der Umstellungsphase Falschbenennungen der betroffenen Person eine Ordnungswidrigkeit wären.

Die Situation von trans*kindern und –jugendlichen ist besonders vulnerabel. Es geht grundsätzlich beim TSG zunächst um Personenstandsänderungen – nicht um geschlechtsverändernden Operationen. Die Frage, wann aber welche irreversiblen Eingriffe unter welchen Rahmenbedingungen durch das Kind oder Jugendliche*n veranlasst werden können, bedarf besonderer Sensibilität. Ob diese Frage ausreichend durch die vorgeschlagenen Gesetzentwürfe abgebildet werden, ist zumindest fraglich. Eine Anhörung und Folgenabschätzung wäre mit der Annahme der GE nicht mehr möglich.

Uns haben zudem einige Zuschriften erreicht, in denen auf Ablehnung der Gesetzentwürfe appelliert wird, weil in den Regelungen eine Gefährdung von (Schutzräumen für) Frauen oder des Kindeswohls gesehen wird. Die Diskussion nimmt damit aus unserer Sicht leicht eine gefährliche Richtung ein. Wir würden darauf reagieren wie folgt:

  • Für die SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass Grundlage einer Reform das Prinzip der Anerkennung der Geschlechtsidentität und der Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung sein muss. Wir wollen die Lage von trans- und intergeschlechtlichen Menschen verbessern, das betrifft medizinische, gesundheitliche, soziale und rechtliche Aspekte. Verfahren müssen so gestaltet werden, dass die Würde und die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen.
  • Wir haben zu den Entwürfen der Opposition November letzten Jahres eine Öffentliche Anhörung im Innenausschuss durchgeführt; diese hat unsere Auffassung bestätigt. Ein Gegeneinander-Ausspielen von verschiedenen Gruppen ist gefährlich. Menschenrechte gelten nicht nur aufgrund eines biologischen Geschlechts. Ein Konkurrenzverhältnis mit Frauenförder- und schutzmaßnahmen bei einem Selbstbestimmungsrecht für transgeschlechtliche Personen ist aus unserer Sicht klar zu verneinen. Ich möchte auf zwei Aussagen der von uns benannten Sachverständigen in der Anhörung Frau Prof. Lembke besonders hinweisen und mich zugleich anschließen:

Die Verpflichtung des Staates aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, wird durch das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung nicht relativiert.

Der Gesetzgeber muss sowohl die Diskriminierung von Frauen auf Grund ihres Geschlechts als auch die Diskriminierung von Trans*, Inter* und non-binären Personen auf Grund ihres Geschlechts effektiv beseitigen und verhindern. Der Schutz vor Diskriminierung auf Grund von Abweichungen von der Heteronorm darf dabei nicht auf Kosten des Schutzes von Frauen vor Benachteiligung und Gewalt innerhalb der Logik binärer Geschlechterverhältnisse gehen und umgekehrt. Das ist eine große Herausforderung an den Gesetzgeber, der er sich jedoch stellen muss.