Gutes Regieren für ein solidarisches Land

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In der vergangenen Woche waren die Top-Themen die Frage von inklusivem Wahlrecht, die Finanzierung von sogenannten Pränataltests und die Rolle Europas in der Welt.

 

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Themen finden Sie hier:

WAHLAUSSCHLÜSSE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG WERDEN ABGESCHAFFT

Die Koalition wird das inklusive Wahlrecht einführen. Mit einem Gesetzentwurf, den das Parlament am Donnerstag in erster Lesung beraten hat, soll das Bundeswahlgesetz geändert werden.

Im Koalitionsvertrag hatten SPD und CDU/CSU vereinbart, den Wahlrechtsausschluss von Menschen unter Vollbetreuung zu beenden. Denn bisher blieb es beispielsweise rund 84.000 Menschen mit Behinderungen in Deutschland verwehrt, zu wählen oder sich selbst wählen zu lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner am 21. Februar 2019 veröffentlichten Entscheidung diese Wahlrechtsausschlüsse für verfassungswidrig erklärt. Der generelle Wahlrechtsausschluss von Menschen unter Vollbetreuung ist demnach mit dem Grundgesetz unvereinbar. Er verstößt gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und gegen das im Grundgesetz verankerte Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung. Das Gericht erklärte außerdem den Wahlrechtsausschluss der wegen Schuldunfähigkeit untergebrachten Straftäter für nichtig.

Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf will die Koalition die verfassungswidrigen Wahlrechtsausschlüsse ersatzlos streichen. Darüber hinaus soll die zulässige Assistenz bei der Wahlrechtsausübung sowie deren Grenzen und strafrechtliche Sicherung geregelt werden. Die Neuregelung soll am 1. Juli 2019 in Kraft treten.

 

BUNDESTAGSDEBATTE ZUR KOSTENÜBERNAHME VON PRÄNATALTESTS

Die Frage, ob vorgeburtliche genetische Bluttests eine Kassenleistung werden sollen, hat am Donnerstagvormittag den Bundestag beschäftigt. Dabei machte die Orientierungsdebatte deutlich, dass es hierbei um die grundsätzliche Frage geht, was uns als Gesellschaft wichtig ist.

Seit mehr als 30 Jahren können schwangere Frauen in Deutschland eine Fruchtwasseruntersuchung, die sogenannte Amniozentese, in Anspruch zu nehmen, wenn es Unsicherheiten über den Gesundheitszustand ihres Fötus‘ gibt. Aus dem Fruchtwasser entnommene Zellen werden auf mögliche Krankheiten untersucht. Allerdings ist diese Untersuchung nicht risikofrei und führt – je nach Studie und in Abhängigkeit vom Alter der Frau – bei einem bis zwei Prozent der Untersuchten zu einer Fehlgeburt. Zugleich ist der Verdacht einer Erkrankung, die zur Fruchtwasseruntersuchung führt, in vielen Fällen nicht zutreffend.

Daneben gibt es die Möglichkeit eines risikofreien und nicht invasiven Bluttests zur Untersuchung des genetischen Codes. Allerdings wird dieser Pränataltest im Gegensatz zur Amniozentese nicht von den Krankenkassen erstattet; die Kosten in Höhe von etwa 200 Euro müssen von den Schwangeren selbst übernommen werden. Die Debatte behandelte daher die Frage, ob die Kosten für den Bluttest, der drei Chromosomen-Veränderungen feststellen kann, künftig bezahlt werden.

Durch die immense Tragweite des Themas, welches sowohl sozialpolitische Fragen, als auch jene nach gesellschaftlicher Inklusion und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau berührt, gab es innerhalb der SPD-SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „Medizinisch ist der Bluttest schlicht und ergreifend viel besser“. Man könne den Test schwangeren Frauen nicht vorenthalten, bloß weil sie das Geld nicht hätten, so Lauterbach. Er machte aber auch deutlich, dass er seines Erachtens nach nur bei medizinisch indizierten Risikoschwangerschaften zum Einsatz kommen sollte. Aufgrund des medizinischen Fortschritts und der Entwicklung vieler weiterer DNA-Test sei es notwendig, ein Gremium aus Soziologinnen und Soziologen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Expertinnen und Experten einzusetzen, dass sich mit den ethischen und gesellschaftspolitischen Aspekten dieser Untersuchungen beschäftigt.

Dass schwangere Frauen auch ein Recht auf eine Schwangerschaft haben, bei der man sich einfach auf sein Kind freue, stellte die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt heraus. Ihrer Ansicht nach lasse sich die Kostenübernahme des Bluttests nicht im Sinne einer sozialen Frage debattiere, so Schmidt. Stattdessen müsse die echte Entscheidungsfreiheit, die dann eben das Recht auf Nichtwissen impliziere, ermöglicht werden.

Risikofreiheit vs. Werteentscheidung

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar stellte in der Debatte die hohe Aussagekraft des Pränataltests und die Risikofreiheit im Vergleich zur Fruchtwasseruntersuchung heraus.

Matthias Bartke, Vorsitzender des Sozialausschusses, hingegen betonte, dass 90 Prozent der schwangeren Frauen mit der Diagnose Trisomie 21 (Downsyndrom) die Schwangerschaft abbrechen und die Übernahme durch die Krankenkassen eine „falsche Werteentscheidung“ sei.

Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis sagte: „Wir haben für eine inklusive Gesellschaft noch viel zu tun. Darum müssen für kämpfen“. Zugleich betonte sie jedoch die Erleichterung, die der Bluttest und seine Aussagekraft für schwangere Frauen, Familien und Lebenspartner mit sich bringe. „Wenn wir es ernst meinen mit der Selbstbestimmung, dann brauchen wir eine Gesellschaft, die das Recht der Frau hochhält“, so Mattheis.

Wie gelingt gesellschaftliche Teilhabe?

Dass der Bluttest einen Paradigmenwechsel in der Schwangerschaftsvorsorge sei, stellte die SPD-Abgeordnete Susann Rüthrich heraus. Schließlich sei der Bluttest eine Untersuchung, die nicht im Interesse des Kindes liege. Rüthrich forderte eine individuelle Aufklärung vor dem Test, der auch die Folgemaßnahmen der Untersuchung deutlich macht, sowie konkrete medizinische Indikatoren, die dafür Sorge trage, dass die Chromosomentestung nicht zum Massenscreening führe.

Es sei wichtig allen Frauen die Schwangerschaftsbetreuung, die sie in Anspruch nehmen wollen, unabhängig ihrer finanziellen Situation zu gewährleisten, betonte die SPD-Abgeordnete Marja-Liisa Völlers. Gleichzeitig müsse man daran arbeiten, dass gesellschaftlich die Teilhabe aller gelinge, so Völlers.

„Selten war ich so zerrissen, wie bei diesem Thema“, sagte der SPD-Abgeordnete René Röspel in seinem Redebeitrag und fasste damit die unterschiedlichen Positionen gut zusammen. Röspels letzter Satz kann als gemeinsamer Konsens der SPD-Bundestagsfraktion verstanden werden: „Von dieser Stelle muss die Botschaft ausgehen, dass jeder Mensch mit Behinderung einer von uns ist und willkommen“.

 

FÜR EIN GEMEINSAMES EUROPA IN EINER WELT DES UMBRUCHS

Über die Rolle Europas hat der Bundestag am heutigen Freitag debattiert. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) warb genau wie die sozialdemokratischen Abgeordneten Christoph Matschie, Axel Schäfer und Jens Zimmermann leidenschaftlich für ein gemeinsames Europa als Friedensmacht, Brückenbauer und Schutzraum.

Der Wert der Europäischen Union wird immer dann besonders deutlich, wenn man ihn im Alltag spürt. Genau auf dieser persönlichen Ebene setzte Katarina Barleys Plädoyer für ein gemeinsames Europa an. Die Bundesjustizministerin sieht im Fehlen einer positiven Verbindung zu Europa einen der Hauptgründe für denn möglichen Brexit. Die Menschen in den landwirtschaftlichen geprägten Grafschaften Großbritanniens – etwa in jener, aus der Barleys Vater stammt – verständen zwar, dass Europa Unternehmen schütze, aber sie fragten sich: Was ist mit mir, was ist mit uns?

Europa als Ort der Mitbestimmung

„Wir brauchen ein Europa, das den Menschen vor Ort zeigt, dass es um Schutz für sie selbst geht“, sagt die Bundesjustizministerin. Um diesen persönlichen Schutz wahrzunehmen, bedürfe es eines europaweiten Mindestlohns, der Möglichkeit der fairen gewerkschaftlichen Mitbestimmung in allen EU-Ländern und einer europaweit einheitlichen und gerechten Besteuerung von Digital-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook.

Europa als Friedensmacht

„Es ist so wichtig, dass wir dieses Europa zusammenhalten, weil wir es brauchen, um den Frieden zu sichern“, sagte Barley. Sie verwies auf den erst 20-jährigen Frieden in Nordirland, der durch den EU-Austritt Großbritanniens gefährdet sei. „Die Menschen vor Ort haben riesige Angst“, so Barley. Sie bräuchten ein Europa des Brückenbauens, wie es etwa von Frankreich und Deutschland derzeit im UN-Sicherheitsrat vorgelebt werde. Durch den gemeinsamen Vorsitz zweier ehemaliger „Erbfeinde“ gelinge es auch, Themen wie die nukleare Abrüstung auf die Agenda zu setzen, die in den Vereinten Nationen seit 2012 nicht mehr behandelt worden seien. „Wir brauchen diese Brücken für den Frieden. Das ist die Kraft von Europa“, sagte Barley.

Auf die immense historische Leistung, die der Aufbau der Europäischen Union darstellt, verwies der stellvertretende außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Christoph Matschie: „Die europäische Union ist entstanden, weil der Kontinent vor gewaltigen Herausforderungen stand. Das war der Beginn eines großen europäischen Versöhnungswerks, das bis heute anhält.“ Er verwies auf den einmaligen Schatz an politischen Erfahrungen, über den die Europäische Union verfüge und auf dem sie ihre künftige Rolle als Schutzraum und Gestaltungsmacht aufbauen könne.

Aktuell verschöben sich, sowohl auf der Ebene des Welthandels, als auch in der Außenpolitik die Gewichte, so Matschie. Die Antwort auf den Ausbruch neuer Handelskonflikte und die Entstehung neuer Machtzentren könne nur eine gemeinsame und handlungsfähige Außenpolitik und eine starke Stimme des gemeinsamen Binnenmarktes sein.

Europa als Schutzraum

Auch der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer, Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, betonte die „praktizierte Gemeinsamkeit“, die sich in den europäischen Gremien offenbare. „Wir machen in Brüssel gemeinsam konkrete Politik“, sagte Schäfer.

Dass die Europäische Union auch Schutz in Zeiten des digitalen Wandels bedeute, stellte Jens Zimmermann, Sprecher der Arbeitsgruppe Digitale Agenda, heraus. Er verwies dabei auf die technologischen Umbrüche, sei es durch Entwicklungen im Silicon Valley, aber auch in China und Russland, etwa durch die versuchte Einflussnahme Russlands auf demokratische Strukturen. Es sei eine große Chance, die Antwort auf diese Umbrüche und auch auf Fragen zu Urheberrechten und Uploadfiltern gemeinsam zu finden, so Zimmermann. Er betonte: „Die Zukunft liegt in der Gemeinschaft und nicht im Alleingang.“

 

BESSERER ZUGANG ZUM SOZIALSCHUTZ FÜR ARBEITNEHMER UND SELBSTSTÄNDIGE

Am Donnerstag hat der Bundestag in 2./3. Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine Empfehlung des Europäischen Rates zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Selbstständige beschlossen. Der Gesetzentwurf steht für ein soziales und solidarisches Europa. Er schafft die Grundlage dafür, dass der deutsche Vertreter im Rat dem Vorschlag des Rates zustimmen darf.

Mit diesem Vorschlag soll den EU-Mitgliedstaaten empfohlen werden, Selbstständigen und Beschäftigten in so genannten atypischen Arbeitsverhältnissen die Möglichkeit zu bieten, den Sozialversicherungssystemen beizutreten.

Es gilt Maßnahmen zu treffen, damit sie angemessene Sozialschutzansprüche aufbauen und nutzen können und die Übertragung von Sozialversicherungsansprüchen zwischen Systemen zu erleichtern.

Außerdem sollen Sozialversicherungssysteme und -rechte transparenter gemacht werden. Insbesondere geht es hier um den Sozialversicherungsschutz bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Mutterschaft oder Vaterschaft, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Behinderung und Alter.

Jeder EU-Mitgliedstaat soll den Zugang zum Sozialschutz im Einklang mit ihrer nationalen Zuständigkeit eigenständig ausgestalten. Die Ratsempfehlung ist rechtlich nicht bindend. Für Deutschland ergibt sich daraus keine Handlungsverpflichtung.

 

ZUGANG ZU DIGITALEN VERWALTUNGSLEISTUNGEN

Donnerstag hat der Bundestag per Gesetz die Einführung einer Karte für Unionsbürgerinnen und -bürger sowie Bürgerinnen und Bürger des Europäischen Wirtschaftsraums mit einer Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis beschlossen. Damit setzt die Koalition einen weiteren Schritt in Richtung digitaler Verwaltung um.

Schon heute ermöglicht die Online-Ausweisfunktion des deutschen Personalausweises eine einfache und sichere Identifizierung im Internet. Der Ausweis kann einfach auf ein Lesegerät (etwa ein Smartphone) gelegt werden, um sich mittels PIN online zu identifizieren. Dadurch können die Bürgerinnen und Bürger schon heute beispielsweise online ein Führungszeugnis beantragen oder eine Steuererklärung abgeben. Der Gang zur Behörde bleibt ihnen dadurch erspart.

Mit der Einführung eines elektronischen Identitätsnachweises für Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums erhalten auch sie die Möglichkeit, auf die Funktionalität der Online-Ausweisfunktion zugreifen zu können. Auf der sogenannten eID-Karte, die freiwillig beantragt werden kann, sind die Basisdaten einer Person gespeichert, die für Online-Behördenkontakte notwendig sind.